Pressebericht HNA 16.11.2020

Montag, 16. November 2020, Mündener Allgemeine / Lokales

„Hier ist das anders – und das tut gut“

Im Kloster Bursfelde bilden junge Menschen eine Kommunität auf Zeit

VON JULIA PENNIGSDORF

Stattliche Anlage im 40-Seelen-Ort: Das Kloster Bursfelde im Landkreis Göttingen beherbergt auch eine Glaubensgemeinschaft auf Zeit. Dort treffen sich zwölf Jugendliche in Intervallen, um Klosterleben zu leben. Foto: Swen Pförtner/epd

Bursfelde – Sie tragen einen grauen Umhang, Albe genannt, und sind auf der Suche – nach Gott, ihrem Glauben, ihrem Platz im Leben. Zwölf junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 27 Jahren lassen sich vom klösterlichen Leben der Benediktinermönche inspirieren.

Das evangelische Kloster Bursfelde ist eine ehemalige Benediktinerabtei aus dem Jahr 1093. Viermal innerhalb von neun Monaten kommen die jungen Menschen für jeweils drei bis sieben Tage hier zusammen, bilden eine ökumenische „Kommunität auf Zeit“ – und halten auch zwischendurch Kontakt via sozialer Medien und E-Mails. In Bursfelde aber möchten sie Kraft schöpfen aus der Spiritualität des Klosters. Gemeinsam beten sie, schweigen, arbeiten, essen, reden, singen und lachen – geeint auf der Suche nach ihrem Glauben im Alltag.

Einer von ihnen ist Rumen Grabow. Der Greifswalder zog nach seinem Abitur ins Wendland, um dort eine Bäckerlehre zu beginnen. „Ich pendelte immer nur zwischen der Arbeit und meinem Zuhause und wusste: Es fehlt etwas. Ich sehne mich danach, mit anderen über tiefere Themen zu sprechen, zum Beispiel die Frage, wie ich zu Gott stehe“, erzählt der 19-Jährige. „Das Klosterprojekt kam wie gerufen.“ Klaas Grensemann ist 49 und Referent im Kloster, er hatte die Idee für das Projekt. Der Diakon ließ sich von Justin Welby inspirieren. Der Erzbischof von Canterbury gründete 2015 in England die „Community of St. Anselm“, um jungen Christen aus der ganzen Welt die Chance zu geben, in einem Kloster ein Gemeinschaftsleben auf Zeit zu erleben. Das liegt auch Grensemann am Herzen. „Kirche bietet viel für Kinder und Jugendliche und dann wieder für Familien und Ältere“, sagt er, „aber zu wenig für das Alter dazwischen“. Der 49-Jährige möchte diese Lücke schließen. Die Resonanz gibt ihm Recht: In drei Wochen war die „Kommunität auf Zeit“ ausgebucht.

Eine Platz hat Louis Janik aus Hannover bekommen. Der 26-Jährige studiert Theologie und Biologie und freut sich, dass er in Bursfelde praktisch das leben kann, was er im Studium lernt. „Hier bin ich kein Beobachter, hier bin ich mittendrin im Klosterleben“, sagt er. Das bestätigt Grensemann.

„Wir spielen hier nicht Kloster, wir sind eine echte Klostergemeinschaft.“ Wilko Sieberns ist 25 und studiert Mathe in Münster. Er sagt: „Es gibt immer mehr Individualisierung. Jeder möchte das größte Stück vom Kuchen. Hier ist das anders. Und das tut gut.“

„Ora et labora“ – Gebete und Gartenarbeit: Die Tage im Kloster sind strukturiert. Um zwölf Uhr versammeln sich alle im Innenhof zum Mittagsgebet. Unter den ausladenden Ästen einer Buche stehen sie im Kreis, in graue Alben gehüllt, die Köpfe gesenkt. Es ist still. Nur ein Brunnen plätschert leise. Dann läuten die Glocken und Klaas Grensemanns Stimme erhebt sich zum Gebet. „Es ist toll, was passiert, wenn man diese Albe anzieht“, sagt Anneke Gerken mit leuchtenden Augen, „es ist ein eindrucksvolles, irgendwie heiliges Gefühl. Man wächst ein Stück.“

Die 21-jährige Oldenburgerin hat viele Monate eines einsamen Onlinestudiums hinter sich. Doch auch ohne Pandemie sei es nicht leicht, Gesprächspartner für das zu finden, was sie bewegt. „Mit meinen Freunden kann ich jedenfalls nicht einfach mal so über Gott und Glauben sprechen.“ Nach dem Mittagsgebet, die grauen Alben sind ausgezogen, versammeln sich alle im Speisesaal. Stille und Nachdenklichkeit sind fröhlichem Gelächter und Small Talk gewichen.

In Jeans und Sweatshirt stehen Wilko, Anneke, Rumen und all die anderen am Büfett und füllen sich ihre Teller mit Tortellini. Am Tisch geht es um die gleichen Themen wie in der Uni-Mensa: um Corona, um die Vor- und Nachteile von Onlinevorlesungen und um die vielleicht wichtigste Frage: Ist das RTL-Dschungelcamp jetzt eigentlich abgesagt?  epd