Samstag, 7. Juni 2025, Mündener Allgemeine / Altkreis Münden
Lebensretter im Morgengrauen
Wie Ehrenamtliche Rehkitze vor dem sicheren Tod retten

Hemeln – Kaum sichtbar und nahezu reglos liegen sie in Feldern und auf Wiesen: Rehkitze verlassen sich in ihren ersten Lebenswochen auf ihre Tarnung im hohen Gras statt auf die Flucht. Genau das wird ihnen in der Mähsaison ab Frühsommer zum Verhängnis. Wenn die Landwirte ihre Maschinen anwerfen und die großen Wiesen rund um Hann. Münden mähen, beginnt für die jungen Wildtiere eine gefährliche Zeit. Um die Rehkitze zu retten, bevor die Messer kreisen, setzen sich die Ehrenamtlichen der Rehkitzrettung Bramwald aus Hemeln für sie ein.
In den frühen Morgenstunden, wenn der Boden noch nicht von der Sonne aufgewärmt ist, beginnt für sie der Tag. Mit einer Drohne mit Wärmebildkamera und zusätzlicher Ausrüstung im Gepäck sowie einem aufmerksamen Blick fahren sie hinaus auf die Felder. Ihr Ziel: das Leben der Rehkitze retten. Wenn die Landwirte zur Mahd ansetzen, liegt der Nachwuchs der Rehe oft gut getarnt im hohen Gras. „Sie fliehen nicht, da sie im jungen Alter noch nicht über einen Fluchtinstinkt verfügen“, sagt Meike Quentin von der Rehkitzrettung Bramwald.
Würden Quentin und ihr Team nicht aktiv werden, würden die jungen Tiere während der Mahd übersehen und von dem Schneidewerk des Mähdreschers erfasst – erleiden teils schwere tödliche Verletzungen. „Das ist ein großes Problem. Da hängt ein ganzer Rattenschwanz mit dran.“ Neben der Verletzung oder dem Tod der Kitze seien weitere Konsequenzen möglich, so Quentin. Die Ricke, also die Rehmutter, suche oft tagelang nach ihrem Nachwuchs. Gleichzeitig habe die Verletzung der Kitze oft zur Folge, dass das Heu oder Stroh verunreinigt werden könnte. Mit Bakterien verunreinigtes Heu könne bei Pferden oder Kühen Krankheiten verursachen.
Um das zu verhindern, setzen die Ehrenamtlichen auf eine gute Zusammenarbeit mit den Landwirten. „Im Idealfall läuft es so, dass der Landwirt uns am Vorabend Bescheid gibt, dass er seine Wiese am nächsten Tag mähen möchte“, so Quentin. Doch das klappe nicht immer einwandfrei. „Manche Landwirte stellen sich quer und informieren uns nicht“, sagt Andreas Gobrecht, der sich ebenfalls für die Rettung der Rehkitze engagiert und gleichzeitig Pächter ist. „Obwohl die Landwirte unser Einsatz nichts kostet, melden sich nicht alle bei uns“, ergänzt er. Die Folge: Rehkitze werden übersehen. Die Rehkitzretter zeigen dafür kein Verständnis. „Es ist sogar so, dass die Landwirte verpflichtet sind, die Felder vor dem Mähen nach Kitzen abzusuchen. Tun sie das nicht, droht ihnen eine Anzeige“, klären die Ehrenamtlichen auf. Ist die Absprache mit den Landwirten erfolgt, beginnt für das Team der Rehkitzrettung die eigentliche Arbeit. Noch vor Sonnenaufgang brechen sie auf, um das jeweilige Feld mithilfe einer Drohne mit Wärmebildkamera abzusuchen. „Die Landwirte schicken uns vorher die Fläche der Wiese. So können wir genau planen und die Drohne programmieren“, erklärt Quentin. Denn die Drohne fliege die Wiese von ganz alleine ab, mit einer Geschwindigkeit von bis zu 75 Kilometer pro Stunde. Je nach Größe der Fläche dauere das manchmal nicht länger als eine Minute. „Entdecken wir ein Tier auf dem Bildschirm mithilfe der Wärmebildkamera, pausiere ich die Drohne und steuere sie manuell weiter“, sagt David Wehe, der die Drohne bedient.
Werden Kitze im hohen Gras entdeckt, ist ein behutsames Vorgehen gefragt. Mit vorsichtigen Schritten nähern sich die freiwilligen Helfer dem Fundort. Vorsichtig heben sie die Rehkitze mit Handschuhen und einer großen Menge Gras hoch –um fremde Gerüche möglichst von dem Kitz fernzuhalten, damit die Ricke ihr Junges später wieder annimmt. In eine mit Gras ausgelegte Hundebox verbringen die Kitze die nächsten eineinhalb bis zwei Stunden. „Der Landwirt kommt im Idealfall und mäht direkt“, sagt Quentin. Nach dem Mähen setzen die Helfer das Kitz wieder aus, damit die Mama ihren Nachwuchs schnellstmöglich findet.
Durch ihren Einsatz konnten die Helfer der Rehkitzrettung Bramwald im Jahr 2023 57 Rehkitzen das Leben retten. Im Vorjahr waren es 53 Jungtiere. „Jetzt ist die Hochzeit“, betont Quentin. Der Verein, der aktuell 17 Mitglieder zählt, ist weiterhin auf das ehrenamtliche Engagement Freiwilliger angewiesen. „Man muss sich auf die Leute verlassen“, ergänzt sie. Bei rund 30 Wiesen allein in Hemeln und unzähligen weiteren im Umkreis sei die Arbeit oft gar nicht zu stemmen. „Letztes Jahr waren es knapp 700 Hektar Wiese, im Jahr davor nur 350“, so Quentin. „Das lässt sich nicht abdecken mit nur zwei Drohnen“, ergänzt sie. Daher ist der Verein auf Spenden und neue, freiwillige Helfer angewiesen, die sich für das Leben junger Rehkitze einsetzen wollen. „Es ist viel Arbeit, aber wenn man ein gerettetes Rehkitz in den Händen hält, weiß man, wofür man es macht“, schwärmt Quentin. KATHARINA BREUNING

Rehkitze retten
Wer helfen möchte, kann sich ehrenamtlich engagieren und Mitglied der Rehkitzrettung Bramwald e. V. werden. Auch Spenden sind willkommen. Mithilfe der Spenden finanzieren die Ehrenamtlichen Drohnen, Ausrüstung und Einsätze. Weitere Informationen unter rehkitzrettung-bramwald.de oder unter der Telefonnummer 0162/7070011.
KAB